Vom Viewpointsystem Redaktionsteam
Überall ist die Rede davon und dennoch wissen die wenigsten, was mit dem Metaverse eigentlich gemeint ist. Oft wird es einfach in die Gaming-Ecke geschoben und als reines Buzzword angesehen, mit dem man sich in Meetings und auf Events profilieren kann. Doch hinter diesem Begriff steckt so viel mehr. Auch wenn das Metaverse in erster Linie noch eine Zukunftsversion ist: Die meisten Expert:innen sind sich einig, es wird uns auch hinsichtlich deutlicher Performance-Steigerungen in der Industrie noch sehr viel mehr beschäftigen, als wir uns dies momentan vorstellen können.
DOCH WAS IST DAS METAVERSE EIGENTLICH?
Im Prinzip lässt sich das Metaverse recht leicht definieren. Es ist eine virtuelle 3D-Welt bzw. viele miteinander verbundene 3D-Räume, in denen sich Menschen – oder besser gesagt deren Avatare – begegnen, austauschen und mittels Smart Glasses und Extended-Reality-Technologien (Virtual, Mixed oder Augmented Reality) in Kontakt miteinander treten. Egal, wo sie sich gerade im wirklichen Leben aufhalten. Wir reden also über eine nahtlose Interaktion zwischen digitaler und analoger Welt sowie zwischen verschiedenen virtuellen Welten untereinander. Oft wird vom potenziellen Internetdesign der Zukunft gesprochen. Das Fraunhofer Institut bezeichnet das Metaverse als ein soziales Medium, in dem Menschen interagieren, kommunizieren, kooperieren, aber auch handeln und Besitz haben können.
UND WAS IST DANN DAS INDUSTRIAL METAVERSE?
Kurz gesagt geht e beim Industrial Metaverse um die Anwendung dieses virtuellen 3D-Raums in der Industrie, um etwa Produktionsanlagen aus der Ferne überwachen und steuern zu können und um alle relevanten Daten dieser sammeln zu können. Auch wenn das Industrial Metaverse heute noch in den Kinderschuhen – oder besser gesagt in der Buzzword-Phase – steckt, sind Expert:innen überzeugt, dass es aufgrund der Möglichkeit, Produktionsprozesse digital zu modellieren sowie mit digitalen Zwillingen zu arbeiten, künftig eine entscheidende Rolle spielen wird. Dazu ist es allerdings notwendig, dass die immersive virtuelle Umgebung auch den zu erwartenden wirtschaftlichen Mehrwert bringt, indem zum Beispiel Wartungs- oder Service-Arbeiten beschleunigt und auf Distanz durchgeführt werden können.
Auch das Thema Sicherheit wird eine entscheidende Rolle spielen, denn im Bereich der Industrie müssen Daten und Eigentum an virtuellen Gütern natürlich anders und noch besser gesichert werden als im privaten Bereich.
SMARTE UND LEISTBARE TECHNOLOGIEN SIND GEFRAGT
Mit dieser nächsten Stufe der Digitalisierung haben Unternehmen die Chance, sich eine virtuelle Welt aufzubauen, welche die eigene Wettbewerbsfähigkeit deutlich steigern kann. Daher gilt es auch, den Zugang zum Metaverse von Anfang an so niederschwellig wie möglich zu gestalten, damit nicht nur finanzstarke Konzerne diese Chance mit maßgeschneiderten Lösungen für sich nutzen können.
WIE UNTERNEHMEN VOM INDUSTRIAL METAVERSE PROFITIEREN KÖNNEN
Die folgenden Anwendungsbereiche bieten unserer Ansicht nach kurz- und mittelfristig die größten Optimierungspotenziale für Produktionsunternehmen:
- Immersives Lernen: Mittels Smart Glasses und virtueller Räume können Mitarbeiter:innen bei der Bedienung und Wartung von Maschinen oder Anlagen eingeschult werden, ohne die betroffenen Geräte dazu in Betrieb nehmen zu müssen. Das reduziert nicht nur die Gefahr von Unfällen, sondern vereinfacht das Prozedere der Einschulung deutlich. So können sehr viele Schulungsteilnehmer:innen mit wenigen Lehrkräften und auch auf Distanz unterrichtet werden. Durch die immersive Technologie werden Schulungen außerdem wesentlich interessanter, praxisorientierter und effektiver als am Bildschirm, wie ein Blick in die Schulungszentren der Deutschen Bahn zeigt:
- Fernunterstützung bei Reparaturen und Wartungen: Während in der gelebten Praxis zur Wartung und Reparatur von Anlagen die technischen Expert:innen zum jeweiligen Standort ausrücken mussten, ermöglichen Metaverse-Technologien, diese heiklen Arbeiten auch ohne die physische Anwesenheit der Spezialist:innen zu verrichten. Stattdessen schalten sie sich in die über die Smart Glasses des Personals vor Ort geteilte Ansicht zu und weisen die Personen genauestens an. Die Person vor Ort kann sich Unterstützung in Form von Abbildungen des digitalen Zwillings der Maschine bzw. einzelner Teile, Anleitungen oder sonstige Hinweise virtuell über die Brille einblenden lassen. Auf diese Weise können zahlreiche Tätigkeiten auch von Mitarbeiter:innen ohne technisches Spezialwissen übernommen werden und die Ensätze der Techniker:innen werden effizienter.
- Digital Twins und Simulationen: Für den digitalen Zwilling werden sämtliche Komponenten eines realen Produkts oder Orts digitalisiert und eine digitale Entsprechung im virtuellen Raum erstellt. Das hat den Vorteil, dass etwa bei der Herstellung von Produkten schon vorab im digitalen Raum etwaige Fehler erkannt und behoben werden können, noch bevor die Produktion anläuft. Auf diese Weise können aber auch reale Situationen digital simuliert werden, wie dies zum Beispiel im Bereich des autonomen Fahrens oft geschieht, um genauere Feinabstimmungen durchführen zu können.
- Virtuelle Zusammenarbeit: Die Corona-Pandemie hat uns klar vor Augen geführt, wie schnell wir in eine Situation geraten, in der persönliche Kontakte nicht mehr möglich sind. Mittels VR können Ingenieur:innen und Designer:innen in virtuellen Designräumen gemeinsam an Entwürfen arbeiten, ohne sich dafür treffen zu müssen. Zudem können die Produkte oder Designs in 3D veranschaulicht werden, damit alle Beteiligten die Situation genau vor sich haben. Abgesehen von den unterschiedlichen Zeitzonen rund um den Globus können so ohne Einschränkungen Teams aus aller Welt zusammentreffen, um die bestmöglichen Lösungen zu finden.
FAZIT
Beim Industrial Metaverse geht es nicht um eine technische Spielerei, sondern vielmehr darum, Prozesse im Design und in der Fertigung deutlich effektiver und kostengünstiger zu gestalten. Hier sind die wichtigsten Vorteile auf einen Blick:
- Die digitale Simulation von Produkten, Orten und Prozessen ermöglicht eine rasche Ermittlung und Lösung von Problemen.
- Geld, Zeit und CO2 Emissionen werden gespart, wenn Ingenieur:innen ohne um den halben Erdball reisen zu müssen, Wartungsarbeiten, Reparaturen oder sonstige Optimierungsmaßnahmen via Datenbrille und digitalem Zwilling aus dem Büro oder Homeoffice erledigen können.
- Ideen können ohne großen Aufwand schnell ausprobiert werden – das steigert den Innovationsgrad des Unternehmens.
- Die jeweilige Umgebung wird aufgrund der Immersion als lebensechte Erfahrung wahrgenommen. Der Bezug zur Realität bleibt dadurch voll erhalten – bei allen Beteiligten. Auf diese Weise wird der gewünschte Lerneffekt auch in diesem virtuellen Raum bestmöglich erzielt.
WAS DIE ZUKUNFT BRINGEN WIRD
Es ist davon auszugehen, dass das Industrial Metaverse in Zukunft noch deutlich an Fahrt gewinnen wird. Smart Glasses werden sich technologisch weiterentwickeln, sodass sie immersiver, robuster und deutlich angenehmer zu tragen sein werden – eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz und Bereitschaft seitens der Mitarbeiter:innen, stundenlang damit zu arbeiten. Neue Technologien wie etwa auch VR-Handschuhe, mit denen virtuelle Objekte auch berührt und gefühlt werden können, werden die Möglichkeiten im Metaverse noch weiter ausbauen. Möglicherweise wird es unser gesamtes Arbeitsleben völlig verändern – genauso, wie dies schon das Einsetzen der Industrielle Revolution im späten 18. Jahrhundert oder auch die Erfindung und Etablierung des Internets Ende des 20. Jahrhunderts getan haben.
Übrigens: Laut einer von Microsoft durchgeführten Studie nimmt die sogenannte Generation Z diese aktuelle Nischentechnologie Metaverse jetzt schon sehr ernst. Immerhin sind 51% der Befragten überzeugt, noch vor 2024 in diesem virtuellen Raum zu arbeiten – auf welche Art und Weise auch immer.
Für eine derartige Erfolgsstory des Industrial Metaverse wird es allerdings entscheidend sein, die involvierten Plattformen und Produktionsdaten optimal miteinander zu verknüpfen, sodass sie bestmöglich ineinandergreifen und eine reibungslose Interaktion möglich ist. Nur so können die sehr komplexen Anforderungen der Industrie auch tatsächlich bedient werden. Und nur dann zeichnet sich auch ein klarer wirtschaftlicher Mehrwert für die Branche ab.
REFERENZEN
Ingenieur.de, “BMW stellt Produktion komplett um: Vollkommen neue Möglichkeiten”, 2022.
Microsoft, “Work Trend Index Annual Report: Great Expectations: Making Hybrid Work Work”, 2022.