SIND SIE SO FOKUSIERT, WIE SIE GLAUBEN? IHRE AUGEN KÖNNTEN ETWAS ANDERES AUSSAGEN

Von Cezara Muresan

Ein Team von Forschenden der FH St. Pölten in Zusammenarbeit mit Viewpointsystem wollte einer scheinbar einfachen Frage auf den Grund gehen: Können wir selbst einschätzen, wie fokussiert wir gerade sind – oder verraten unsere Augenbewegungen, erfasst mittels Eye-Tracking-Technologie, vielleicht mehr über unseren tatsächlichen Aufmerksamkeitszustand? 

In der Studie kamen Eye Tracking und Machine Learning (Maschinelles Lernen, ML) zum Einsatz, um zu messen, wie gut sich Aufmerksamkeit durch Augenbewegungen abbilden lässt. Der spannende Befund: Die Selbsteinschätzungen der Teilnehmenden lagen nicht immer richtig – aber ihre Augen schon. 

Stellen Sie sich vor, Sie stehen unter Stress. Nicht der akute, überwältigende Stress, sondern jener leise, unterschwellige Druck, der sich über Wochen oder Monate aufgebaut hat. Sie haben sich daran gewöhnt, oder? Sie können weiterhin funktionieren, sich konzentrieren und arbeiten, als wäre alles in Ordnung. 

Aber was, wenn Ihre Augen etwas anderes aussagen? 

In der Studie kamen die VPS Smart Glasses mit integriertem Eye Tracking und Machine Learning zum Einsatz, um herauszufinden, wie genau die Augenbewegungen unsere Aufmerksamkeit widerspiegeln – und ob wir wirklich selbst erkennen können, wie sehr wir mental beansprucht sind. Die Ergebnisse sprechen für sich: Eye Tracking kann die tatsächliche Aufmerksamkeit objektiv erfassen – und ist laut Studie verlässlicher als unsere eigene Einschätzung. 

Die Teilnehmenden trugen Smart Glasses, während sie eine Aufgabe bearbeiteten, die Konzentration und Aufmerksamkeit forderte. Danach sollten sie selbst einschätzen, wie anstrengend die Aufgabe war – anhand von einem standardisierten Fragebogen (NASA-TLX). Gleichzeitig zeichnete die Brille verschiedene subtile Augenaktivitäten auf, darunter: 

  • Wie lange jemand den Blick auf einen bestimmten Punkt gerichtet hielt  
  • Wie oft der Blick abschweifte  
  • Wie häufig geblinzelt wurde                                                                                                                                                                                                      

Die eigentliche Erkenntnis zeigte sich, als die gesammelten Daten mithilfe von Machine Learning ausgewertet wurden – einer Methode, bei der ein Computer darauf trainiert wird, Muster zu erkennen. Das Modell lernte, bestimmte Augenbewegungen bestimmten Aufmerksamkeitsniveaus zuzuordnen – hoch, durchschnittlich oder niedrig. 

Die Ergebnisse waren aufschlussreich: 

  • Ein spezielles Modell, ein sogenanntes Multi-Layer Perceptron (MLP), konnte das Aufmerksamkeitsniveau einer Person mit über 80 % Genauigkeit vorhersagen.  
  • Im Gegensatz dazu stimmten die Selbsteinschätzungen oft nicht mit der tatsächlichen Leistung überein. Die Teilnehmenden konnten ihre eigene Konzentrationsfähigkeit nicht zuverlässig beurteilen. 

Dahinter steckt eine tiefere Erkenntnis: Wir gehen oft davon aus, dass ein höherer mentaler Aufwand automatisch zu besserer Leistung führt. Doch das stimmt nicht immer. Die Studie legt nahe, dass Leistung vielmehr davon abhängt, wie effizient wir mit unserer Aufmerksamkeit umgehen – und nicht nur davon, wie sehr wir uns anstrengen. Diese feinen Muster, die uns selbst oft gar nicht bewusst sind, können durch Eye Tracking sichtbar gemacht werden. 

Gerade in Berufen mit hoher Verantwortung ist es entscheidend, dass Menschen konzentriert bleiben. Doch wer an Stress oder Müdigkeit gewöhnt ist, wirkt nach außen hin oft völlig leistungsfähig – und fühlt sich vielleicht sogar so. In Wirklichkeit kann die kognitive Belastung aber bereits sehr hoch sein. Die Studie zeigt: Objektive Eye-Tracking-Daten können solche Veränderungen der Aufmerksamkeit zuverlässig belegen. 

Interessant ist auch, dass die Studie nicht im Labor durchgeführt wurde, sondern mit mobilen Smart Glasses – also tragbaren Brillen, die sich im Alltag einsetzen lassen. Damit wäre der Ansatz in Zukunft auch praktisch anwendbar.  

Man denke an: 

  • Pilot:innen und Fahrer:innen, deren Ermüdung in Echtzeit erkannt werden kann 
  • Chirurg:innen oder Einsatzkräfte, die während kritischer Situationen Rückmeldung über ihre kognitive Belastung erhalten 
  • Individuelles Lernen, Training oder Therapie, das sich an das tatsächliche Aufmerksamkeitsniveau anpasst 

Und vieles mehr. 

Die Studie zeigte deutlich: 

  • Die subjektiv eingeschätzte mentale Belastung spiegelt nicht das ganze Bild wider. 
  • Eye-Tracking kann die Leistungsfähigkeit der Aufmerksamkeit zuverlässig klassifizieren. 
  • Mithilfe von Machine Learning lässt sich diese Analyse präzise und automatisiert durchführen. 

Diese Kombination aus objektiven Daten und intelligenter Auswertung eröffnet ganz neue Möglichkeiten für sicherere, effizientere und individuell zugeschnittene Systeme – von smarten Fahrzeugen bis hin zu Tools zur Verbesserung der Arbeitssicherheit. 

Und das alles beginnt mit einer scheinbar ganz einfachen Analyse: Wohin wir blicken – und für wie lange. 

Studienmethodik: 

  • Teilnehmende: 20 Personen im Alter von 20-39 Jahren 
  • Dauer: Die Studie lief über vier Monate; jede Sitzung dauerte ca. 10-15 Minuten pro Person 
  • Gerät: VPS 19 Smart Glasses (mobiles Eye Tracking) 
  • Erhobene Daten: Fixationsanzahl, Sakkaden Anzahl, Blickgeschwindigkeit, Fixationsdauer, Blinzelrate und Aufmerksamkeitszeit im Area of interest (AOI) 
  • Aufgaben: Visueller Aufmerksamkeits-Test (d2-R) + NASA-TLX Selbsteinschätzung 
  • Analysemethode: Mit Eye-Tracking-Daten trainierte Machine Learning Modelle 
  • Durchgeführt von: Adrian Vulpe-Grigorasi, Zvetelina Kren, Djordje Slijepcevic, Roman Schmied und Vanessa Leung 
  • Partnerinstitutionen: Fachhochschule St. Pölten und Viewpointsystem GmbH 
  • Lesen Sie den vollständigen Artikel hier: https://doi.org/10.1109/Informatics62280.2024.10900810


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