AR, VR, AI? WELCHE SMART GLASSES WANN SINN ERGEBEN – EIN ÜBERBLICK ÜBER TYPEN UND ANWENDUNGEN

Von Jana Riethausen

Ob in der Industrie, in der Logistik, im Healthcare-Bereich oder Sport – Smart Glasses werden in immer mehr Bereichen eingesetzt und finden ihren Weg in den Arbeitsalltag. Sie versprechen mehr Effizienz, höhere Sicherheit und neue Möglichkeiten für Training und Ausbildung. Doch wer sich auf die Suche nach der „richtigen“ Datenbrille macht, landet schnell im technologischen Dickicht: AR, VR, Seethrough, Passthrough, Eye Tracking, AI – die Begriffswelt ist verwirrend, die Modellvielfalt mitunter unübersichtlich. 

Dabei ist die Wahl der passenden Brille kein bloßes Technikdetail. Sie entscheidet darüber, ob ein System produktiv einsetzbar ist, ob es in der Schublade landet – oder sogar zum Sicherheitsrisiko wird. Besonders in dynamischen Umgebungen, in denen sich Menschen bewegen und gleichzeitig Informationen abrufen müssen, kommt es auf die richtigen Eigenschaften an. 

Dieser Beitrag hilft, Licht ins Dickicht zu bringen: Er stellt die wichtigsten Smart-Glasses-Typen vor und zeigt auf, welche Technologien sich für welche Einsatzszenarien eignen.  

WELCHEN TYPEN VON SMART GLASSES GIBT ES?

Smart Glasses gibt es in vielen technischen Ausprägungen – und genau darin liegt für viele Unternehmen die erste Herausforderung. Denn hinter Begriffen wie AR, VR oder AI Glasses verbergen sich sehr unterschiedliche Konzepte mit spezifischen Stärken und Schwächen. Hinzu kommt, dass die Begriffe nicht immer einheitlich verwendet werden, was für Verwirrung sorgen kann. Ein klarer Überblick über die grundlegenden Typen schafft die nötige Orientierung.  

Augmented Reality (AR) Brillen: Digitale Informationen im Sichtfeld 

AR-Brillen erweitern das reale Sichtfeld um digitale Inhalte – etwa durch Einblendung von Text, Symbolen oder 3D-Objekten. Technologisch lassen sich zwei Hauptvarianten unterscheiden, Seethrough AR und Passthrough AR: 

  • Seethrough AR (optisch transparente AR): Bei dieser Technologie sehen die Nutzer:innen die reale Umgebung durch transparente Gläser oder Linsen, auf die digitale Inhalte eingespiegelt bzw. projiziert werden – etwa Schritt-für-Schritt-Anleitungen, Navigationshinweise oder Sensordaten. Seethrough AR hat typischerweise eine leichtere Bauweise als Passthrough AR (siehe unten) und ermöglicht eine gute Wahrnehmung der Umgebung. Dies führt zu einem größeren Potenzial für Mobilität und soziale Akzeptanz. Zu den Nachteilen gehören unter anderem verwaschene und kontrastarme Bilder – vor allem bei hellem Umgebungslicht. 

Innerhalb der Seethrough-AR-Brillen lassen sich wiederum zwei Varianten unterscheiden: 

  • Flat AR (auch „Lite AR“ genannt): Zeigt einfache, meist statische Overlays (z. B. Benachrichtigungen, Arbeitsanweisungen, Checklisten), oder beamt den Bildschirm eines Zuspielgeräts virtuell in den Raum. Das Nutzungsszenario dieser lediglich rudimentären Augmented Reality ohne räumliches Tracking ist fokussiert und überschaubar. Vorteile: schlanke Bauweise, geringer Energieverbrauch. Entsprechende Modelle gibt es u.a. von Xreal Air 2 und Vuzix. 

  • Dimensional AR (räumliche AR): Bietet interaktive, räumlich verankerte visuelle Inhalte mit Umgebungserkennung (SLAM: Simultaneous Localization And Mapping). Diese „echte“ AR ist technisch anspruchsvoll und sehr rechenintensiv, benötigt komplexe Sensorik und führt oft zu größeren, schwereren Geräten – etwa bei Microsoft HoloLens oder Magic Leap, die auf den Verbrauchermärkten weitgehend scheiterten und sich mittlerweile auch aus dem Unternehmensbereich zurückgezogen haben. Neuere Modelle von Snap und Meta sind vielversprechend, aber nicht für den Arbeitseinsatz geeignet bzw. noch nicht marktreif.  Dimensional AR gilt als technologisch anspruchsvollster, aber auch zukunftsweisendster Bereich – nahezu alle der großen Tech-Player entwickeln hier aktiv. Marktreife Lösungen werden aber noch auf sich warten lassen. 

  • Passthrough AR (kamerabasierte AR): Hier wird die Umgebung per Kamera erfasst und unmittelbar als Videobild auf ein internes Display übertragen. Anders als bei der Seethrough AR sieht der Benutzer die Realität also als Konstruktion. Digitale Inhalte werden dann in diese „Video-Realität“ eingebettet – mit hoher Präzision und visueller Qualität. Diese Methode ermöglicht beeindruckende Immersionseffekte. Passthrough AR setzt auf das gleiche Bauprinzip wie VR-Brillen, was die Herstellung erleichtert und die Kosten senkt, da es sich um weitgehend etablierte Technik handelt.  

Die Kehrseite: hohe Rechenleistung notwendig und dementsprechend wuchtige Geräte (nicht mit herkömmlichen Brillen zu verwechseln), begrenzter Tragekomfort, soziale Isolation durch die visuelle Abschottung, nur Einsatz in statischen Szenarien. Beispiele: Meta Quest 3, Apple Vision Pro (auch VR möglich).  

Passthrough AR und Dimensional AR werden aufgrund der stärkeren Durchdringung von digitaler und physischer Realität (im Vergleich zur einfachen Augmented Reality) gelegentlich auch als „Mixed Reality” bezeichnet.  

Virtual-Reality-Headsets (VR): Vollständig virtuelle Welten 

VR-Headsets sind geschlossen konzipiert und schaffen eine komplett virtuelle Umgebung. Sie eignen sich für Trainings, Simulationen oder Designanwendungen in statischen Situationen – z. B. im Sitzen oder innerhalb sicherer Übungsräume für einen sehr begrenzten Zeitraum. Ihre Stärken liegen in der immersiven Darstellung und Interaktionsvielfalt. Schwächen: völliger Ausschluss der realen Umgebung, Größe und Gewicht der Geräte, nur sehr begrenzte Eignung für dynamische Arbeitskontexte. VR-Headsets gibt es beispielsweise von HTC, Varjo oder Pico (z. T. auch mit Passthrough-AR). 

AI Glasses: Smarte Assistenten ohne Display für den Alltag 

AI Glasses sind smarte Brillen ohne visuelles Anzeigesystem, die mithilfe von Sprachsteuerung, Kamera, Mikrofon und KI einfache Assistenzfunktionen bieten. Sie ermöglichen freihändiges Kommunizieren, Fotografieren, Aufzeichnen und – je nach Modell und Region – KI-gestützte Interaktionen wie Objekt- und Umgebungserkennung sowie Sprachdialoge („Was sehe ich gerade?“). 

Ihr Fokus liegt auf Alltagstauglichkeit, Leichtigkeit und diskreter Nutzung, nicht auf immersiver Darstellung. Beispiele: Ray-Ban Meta Smart Glasses, Solos. 

Eye Tracking: Blickerfassung als Schlüsseltechnologie 

Eye Tracking Brillen erfassen die Augenbewegungen des Nutzers bzw. der Nutzerin. So kann man z.B. deren Aufmerksamkeit und Konzentration in einer bestimmten Situation erkennen und analysieren. Anders als bei AR-Brillen werden keine digitalen Overlays ins Sichtfeld projiziert, was in bestimmten Situationen auch behindern kann. Stattdessen werden auf dem Screen eines angeschlossenen Devices das Sichtfeld der tragenden Person sowie deren Blickpunkt und Blickverläufe angezeigt.  

Die VPS Smart Glasses ermöglichen darüber hinaus Live-Streaming und Echtzeit-Kommunikation. Das macht sie besonders relevant für Ausbildung und Trainings, beispielsweise für Piloten, Lokführer, Sicherheitskräfte oder Mediziner, aber auch für die Fernunterstützung in der Industrie. Sie sind leicht, robust gebaut und als Schutzbrille zertifiziert.  

Eye Tracking ist zudem eine wichtige Schlüsseltechnologie für die nächste Generation von AR-Brillen. Es ermöglicht nicht nur eine natürliche, berührungslose Bedienung mit den Augen (aktuelles Beispiel: Apple Vision Pro), sondern liefert auch wertvolle Daten über Aufmerksamkeit, Verhalten und Kontext. So kann AR am konkreten Informationsbedarf der Nutzer:innen ausgerichtet und insgesamt intuitiver und natürlicher gestaltet werden. 

Assisted Reality: Informationen statt Immersion 

Assisted-Reality-Geräte zeigen Informationen am Rande des Sichtfelds an, aber anders als bei AR-Brillen erfolgt keine Überlagerung der echten Welt und keine räumliche Verankerung von Inhalten. Die Daten werden meist auf einem kleinen seitlich angebrachten Display dargestellt, das gezielt ins Blickfeld gebracht werden kann – ähnlich einem Mini-Tablet vor dem Auge. Entsprechende Modelle gibt es beispielsweise von RealWear und Epson. 

Special-Purpose Smart Glasses: Für Spezialanforderungen entwickelt 

Neben diesen Produktkategorien existieren hochspezialisierte Smart Glasses für besondere Anforderungen, z.B. in der Forschung oder medizinischen Anwendungen. Diese Geräte sind häufig individuell angepasst, verfügen über besondere Sensorik oder sind für extreme Umgebungen konzipiert. Ein Beispiel ist die militärische Version der HoloLens (IVAS) für das US-Heer, mit erweiterten Sensoren und Nachtsicht.  

REALITY-CHECK: WELCHE BRILLE PASST ZU WELCHER NUTZUNG

Die Features vieler Smart Glasses sind beeindruckend – doch nicht jedes Modell passt zu jedem Einsatz. Entscheidend für die Auswahl ist nicht nur die Technologie, sondern vor allem der Nutzungskontext

  • Befindet sich der Nutzer in Bewegung – oder arbeitet er im Sitzen? 
  • Ist die Umgebung dynamisch und unübersichtlich – oder kontrolliert und statisch? 

Diese beiden Fragen helfen bereits, die Möglichkeiten deutlich einzugrenzen. Während ein geschlossenes VR-Headset für Trainings im Sitzen geeignet ist, wird es in einer dynamischen Umgebung aufgrund der vollständigen Blockade des Sichtfelds zur Gefahrenquelle.  

Besonders in dynamischen Umgebungen und bei körperlich aktiven Arbeitseinsätzen zählen freie Sicht und hoher, nicht einschränkender Tragekomfort.

Ein oft unterschätzter Aspekt beim Einsatz von VR- oder Passthrough-AR-Brillen auch in statischen Anwendungen ist das Risiko von Motion Sickness, auch bekannt als Cybersickness. Diese Form von Unwohlsein entsteht, wenn das visuelle System Bewegung suggeriert, die das Gleichgewichtsorgan nicht bestätigt – oder umgekehrt. Typische Symptome: Schwindel, Übelkeit, Desorientierung. 

Besonders kritisch wird es, wenn Nutzer sich physisch bewegen (z. B. stehen, gehen, sich drehen), aber das visuelle System – durch minimale Verzögerungen oder künstliche Perspektiven – nicht ganz mitzieht. Bei der Passthrough AR entspricht die Position der Kameras nicht exakt den natürlichen Augenpositionen, was perspektivische Verschiebungen und Unwohlsein beim Träger verursacht. Bewegt der Träger schnell den Kopf, können Latenzen und zeitlichen Verzögerungen des Bilds entstehen. Das Resultat: ein sensorischer Konflikt, der oft schon nach kurzer Tragedauer zu starker Belastung führen kann. 

Hinzu kommt: Selbst bei leichter Bewegung oder einfachen Tätigkeiten kann Passthrough AR beim Träger ein Gefühl von Unsicherheit oder Entkopplung auslösen – denn letztlich sieht er nicht die reale Umgebung direkt, sondern nur deren gefilmte Version.  

WAS BRAUCHEN SMART GLASSES IN DYNAMISCHEN EINSATZFELDER WIRKLICH?

Für echte Mobilität und körperlich aktive Arbeitseinsätze – etwa in der Produktion, bei Ausbildung und Training in Bewegung oder in medizinischen Szenarien – kommt es auf folgende Faktoren an: 

  • Unbehinderte Sicht auf die Umgebung ohne optische Einschränkungen 
  • Digitale Overlays dürfen die Sicht nicht blockieren oder verzögern 
  • Intuitive, freihändige Steuerung – z. B. über Sprache, Gesten oder Eye Tracking 
  • Robuste, leichte Bauweise, die auch bei Bewegung nicht stört 
  • Schneller Informationszugriff, ohne den Nutzer visuell oder kognitiv zu überlasten 

Der Reality-Check macht deutlich: Die richtige Smart Glass hängt nicht von technischen Superlativen ab, sondern von der Frage, ob sie sich in der realen Arbeitswelt bewährt. Wer sich diese Frage frühzeitig stellt, spart Zeit, Kosten – und Frustration. 

FAZIT: KLAR SEHEN IM BRILLEN-DSCHUNGEL

Smart Glasses bieten enormes Potenzial für die Arbeitswelt – aber nicht jedes Modell passt zu jedem Einsatz. Die entscheidende Frage ist nicht, was technologisch möglich ist, sondern was im konkreten Nutzungskontext sinnvoll und sicher ist. Wer zwischen den unterschiedlichen Lösungen unterscheiden kann, legt die Basis für fundierte Entscheidungen. 

Besonders in dynamischen Umgebungen zählen freie Sicht, intuitive Bedienung, geringer Ballast. Robuste, praxisnahe Systeme setzen genau hier an – und machen den Unterschied zwischen technischer Spielerei und produktivem Werkzeug. 

LESETIPP : AUGMENTED REALITY: WIE NAH IST DER GROßE DURCHBRUCH?  EIN GESPRÄCH MIT AR-PIONIER MARTIN HERDINA

https://viewpointsystem.com/augmented-reality-wie-nah-ist-der-grose-durchbruch/


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